OLDIES
von Franz
Schöler
Franz Schöler ist seit über 40
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
The Beatles
ON AIR: LIVE AT THE BBC
VOLUME 1 - REMASTERED
Apple
2
CDs_____________________(
136
)
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT ★
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ON AIR: LIVE AT THE BBC VOLUME 2
Apple
2
CDs_____________________ (
131
}
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT
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Einen Nachhall ihrer Sturm-und-
Drang-Stimmung der Star-Club-
Ära - einer gewagten These zufol-
ge der Höhepunkt der Beatles als
Rock 'n' Roller! - findet man Jah-
re später bei dem schier entfes-
selt musizierten „Dizzy Miss Lizzy“
auf „Help!“ und nicht zuletzt un-
ter den 275 BBC-Mitschnitten. Bei
diesen Auftritten nahmen die Beat-
les Little-Richard- und Chuck-Berry-
Hits genauso auf wie das (noch)
weniger bekannte „Crying, Waiting,
Hoping“ aus dem Demo-Nachlass
von Buddy Holly und das obskure
„So How Come (No One Loves Me)“
von der 1961er LP „A Date With The
Everly Brothers“. Als großer Fan von
Rockabilly im Allgemeinen und der
Burnette-Brüder ganz besonders
outete sich John Lennon mit der
Deutung von „Lonesome Tears In
My Eyes“. Das waren - wie auch
„Beautiful Dreamer“ oder „Lend
Me Your Comb“ - alles Songs, die
sie später auch für Single-B-Seiten
nie mehr aufnahmen.
Seitdem die BBC-Mitschnitte
längst komplett auf
10-CD- und
12-CD-Bootlegs zirkulieren, konnte
man sich selber ein Urteil darüber
erlauben, ob die Band ihren Lieb-
lingen der Rock 'n' Roll-Ära konge-
nial gerecht wurde. Das erste „Live
At The BBC“-Set hatte 1994 schon
signalisiert, was Mark Lewisohn
im kürzlich erschienenen
ersten Band seiner monu-
mentalen Beatles-Mono-
grafie dokumentiert, näm-
lich dass John Lennon ein-
deutig die treibende Kraft
hinter der Band war.
Vol.
2
klärt darüber
auf, dass nicht alle von
der
BBC
gesendeten
Songs
auch
lupenrei-
ne Live-Mitschnitte wa-
ren. Ab Ende 1963 durf-
ten sie vor der Ausstrah-
lung manchmal Aufnahmen im
Abbey-Road-Studio in ihrem Sin-
ne durch nachträgliche Overdubs
perfektionieren. So sang John Len-
non auf Folge 1 „I Feel Fine“ mit der
Stimme „double-tracked“, wie er
das bekanntlich bei Studioaufnah-
men liebte. Die ursprüngliche Auf-
nahme - Lennon „I Feel Fine“ solo
singend - präsentiert Folge 2 als
Studio-Outtake. Beim (Re)Maste-
ring haben vier (diesmal nament-
lich genannte!) Tontechniker mehr
Sorgfalt walten lassen. In der Neu-
auflage wurde auch für Vol. 1 ein
deutlich niedrigerer Pegel gewählt.
Die Aufnahmen klingen, jetzt we-
niger nach-verhallt und -entzerrt,
wie sehr deutlich etwa bei „I’ll Be
On My Way“ zu hören, nicht mehr
so extrem mittenlastig und plär-
rend. Da hat man sich endlich mal
noch mehr Mühe gegeben als zu-
vor schon die Bootlegger.
OLDIE DES MONATS
The Band
LIVE AT THE
ACADEMY OF MUSIC 1971
Capitol/UMe
4
CDs___________(
256
') + DVD
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT ★
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Rockklassiker müssen nicht für
Surround-W iedergabe
neu
ab-
gemischt werden, um ungeahnte
Klangqualitäten zu entfalten. Das
war schon seit den Remixes von
Byrds- und Dylan-Meisterwerken
hinreichend bekannt. Und auch
Mark Linetts Stereo-Remix von
„Pet Sounds“ und die neuen von
George und Giles Martin für das
„Love“-Projekt, die Beatles-Ever-
greens in unerhörter Klangquali-
tät präsentierten, bewiesen dies
hinreichend.
Jetzt engagierte Robbie Robert-
son mit Bob Clearmountain den
so ziemlich renommiertesten Ton-
meister in dieser Disziplin, auf dass
der die ganzen Bänder der vier
Konzerte, welche The Band an den
letzten Tagen des Jahres 1971 gege-
ben hatte, komplett neu abmisch-
te. Zuvor für die Doppel-LP „Rock
Of Ages“ destilliert, zuletzt als „ex-
panded edition“ 2000 zum wieder-
holten Male remastered vorgelegt,
klingen die Aufnahmen in diesen
früheren Ausgaben im Vergleich
so grottenschlecht, dass man den
eigenen Ohren erst mal nicht trau-
en mag! Das zumal bei einem Al-
bum, das seit Langem als epoch-
aler Live-Mitschnitt gilt.
Nach seinen umwerfend gelunge-
nen Remixes der Multitrack-Bänder
wurde für die ersten beiden CDs aus
29 Aufnahmen gewissermaßen ein
idealtypisches Set für das „Rock Of
Ages Concerts“-Box-Set (rekons-
truiert. Ziemlich unerhört auch und
sonst meist angenehm von hochka-
rätigen Rolling Stones-Bootlegs be-
kannt, präsentieren die beiden an-
deren CDs den Auftritt vom Silves-
terabend in der Academy of Mu-
sic als Soundboard-Mix: die in der
Bühnen-Anlage separat für alle
Instrumente und Mikrofone verstärk-
ten Tonspuren zu einem Mix von einer
Klarheit zusammengefasst, wie man
die Musik im Konzert so nie erlebt.
Damit ist das für Bewunderer dieser
Band ein unverzichtbares Sammler-
teil - nicht nur wegen des Dylan-Auf-
tritts zum Schluss.
The Velvet Underground
WHITE LIGHT/WHITE HEAT:
45TH ANNIVERSARY EDITION
Verve
3
CDs (auch als LP erhältlich)
(
200
’)
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT ★
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Ziemlich einmalig steht The Velvet
Underground auch deswegen in der
Geschichte der Rockmusik da, weil
sich die Band mit jeder LP komplett
neu erfand. Den radikalen Bruch
mit Mentor Andy Warhol signali-
sierte bei op. 2 auch die Schwarz-
Weiß-Optik des Covers. Den wüsten
Hardrock des Titelsongs, die etwas
entnervende Geschichte von „Lady
Godiva’s Operation“ und Ausflüge
ins Atonale bei „I Heard Her Call My
Name“ konnte man in ihrer Radika-
lität auch nach Frank Zappas „Fre-
ak Out!“ und „Absolutely Free“ da-
mals erst einmal als gewöhnungs-
bedürftig empfinden. Im Vergleich
dazu klang John Lennons „Tomor-
row Never Knows“ schon wieder
wie anheimelnder Psychedelic Pop.
Und dann war da noch „Sister
Ray“, eine Hardrock-Odyssee, mit
der das Quartett damals ein un-
vorbereitetes Konzertpublikum zu
konfrontieren wagte. Nur konn-
ten sie - anders als Pink Floyd mit
„Interstellar Overdrive“ im Under-
ground-Club in London - nicht
damit rechnen
ner Form be-
rauschte Zu-
hörer zu tref-
fen. Das war
auch in der
„nur“
17:29
dauern-
den
Studio-
aufnahme die
Apotheose von allem Garagen-
rock, auf die sich historisch halb-
wegs bewanderte nachgeborene
Punkrock- und Noise-Pop-Vertre-
ter später beriefen.
Lou Reed als Schamane Regen
beschwörend („Hey Mr. Rain“ in
zwei verschiedenen Versionen mit
brillantem John Cale unter den Zu-
gaben) hätte so wenig auf das Al-
bum gepasst wie die zärtlichen Lie-
der „Stephanie Says“ und „Begin-
ning To See Light Light“, in Früh-
fassungen nun auf der Jubiläums-
Edition zu hören. Neben dem Mo-
no-Mix der LP bietet die ein in dem-
selben Jahr mitgeschnittenes Kon-
zert in so bescheidener Sub-Boot-
leg-Qualität, dass man Tom W il-
sons Beiträge als Produzent der
Studioaufnahmen noch mehr als
zuvor schätzt.
auf In irfïûnrlûî.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problematisch I ★ schlecht
STEREO 2/2014 127